Erlebnisse aus einem Brief von Herrn Ekkehard Kuhlmay aus Lüneburg

In einem Luftschutzraum am Dorfplatz

Mit meiner Mutter, meinen drei Schwestern, meinem Großvater, meiner Großmutter und einigen anderen Leuten erlebte ich das Kriegsende in Stahnsdorf im Haus Dorfplatz 18 bei Liefeldts. Ein Kellerraum als Luftschutzraum hergerichtet, wurde wegen der vielen Luftangriffe auf Berlin und den damit auch für Stahnsdorf ausgelösten Alarm immer öfter unser Aufenthaltsort.

Mein Großvater Hans Scheidling war es schließlich leid, bei  jedem Alarm in den Keller zu gehen. Doch gerade in dieser Nacht wurde das schöne Gasthaus Grote getroffen und völlig zerstört. (29.März 1943, ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde in dieser Nacht das Haus am Dorfplatz 4 und die alte Post, jetzt Wannseestr. 7 - d.R.). Nach kurzer Zeit erschien mein Großvater im Nachthemd in der Kellertür. Er ist bei Alarm dann nie wieder oben geblieben. Den Einmarsch der Russen haben wir dann auch in diesem Keller erlebt. Am Kellerfenster sitzend sagte Gert Liefeldt: “Jetzt kommen sie!“ Mit ihren Panzern fuhren sie durch die geschlossenen Hoftore, eine Stallecke mitnehmend,  in den Garten. Dort gingen sie in Stellung, da sich in dem Wäldchen zwischen Wannseestraße und der Potsdamer Allee noch deutsche Soldaten befanden.

Schließlich in unseren Keller eingedrungen, führten sich die Russen recht wild auf und raubten Wertsachen, besonders Uhren. Schlimmes ist in diesem Keller nicht geschehen oder aber vor mir verborgen geblieben. Uns Kindern gegenüber waren sie aber recht friedlich, ich meine sie hatten sogar Süßigkeiten dabei. Es hieß, sie hätten Frau Krolls Kiosk an der Schleuse geplündert.

Mit einem anderen Jungen, leider kann ich mich nicht mehr an ihn erinnern, bin ich aus dem Keller entwischt.  Während der Schießerei hinter der Scheune haben wir und im Hof auf dem Misthaufen im Spiel vergessen. Die Aufregung der Erwachsenen, nach dem wir vermisst wurden, war riesengroß und das Donnerwetter, nachdem wir entdeckt und wieder eingefangen waren, ebenso.

Wir sind dann, wohl wegen der noch andauernden Kämpfe, für eine Zeit nach Breite bei Blankensee gefahren. Es war dunkel als wir mit unserem Pferdewagen losfuhren und am Ende der Dorfstraße uns mit entgegenkommenden russischen Militärfahrzeugen völlig verkeilten. Laut fluchende Russen und mein langsam nervös werdender Großvater, welcher mit Mühe die in Panik geratenen Pferde unter Kontrolle zu halten versuchte, sind mir auch in angstvoller Erinnerung geblieben. Aber irgendwie löste sich das Knäul wieder auf. In Breite lebten wir mit noch anderen Stahnsdorfer Familien in einem Stall.

Nach Stahnsdorf zurückgekehrt, ist mir ein toter, wie ich meine, deutscher Soldat, in Erinnerung. Er lag an der Kirchstraße im Garten von Georg Kuhlmay oder auf der Upstallwiese daneben. Dieses „Bild“ hat mich lange beschäftigt und vielleicht ist ja der abgetrennte Kopf und der darauf befindliche Stahlhelm das Produkt meiner eigenen Phantasie. Am Dorfplatz angekommen, war das Haus Nr. 17 neben meinem Elternhaus abgebrannt, die Trümmer schwelten noch.

Wohl um vor möglichen Übergriffen der Sieger sicher zu sein, haben wir mit mehreren Leuten einige Nächte in einem Haus in der Märkischen Straße, heute Friedrich-Naumann-Straße, verbracht. Dort habe ich gesehen, wie ein junges Mädchen oder Frau von den Russen geholt wurde und nach einiger Zeit wieder kam oder nach einiger Zeit sogar gebracht wurde. Am Verhalten der Erwachsenen war abzulesen, dass es sich um etwas Schlimmes handeln muss. Erst viel später habe ich es begriffen.

In einem Haus in der Straße A, heute Am Walde, erlebten wir den, wie es hieß, Rückzug von Fremdarbeitern in ihre Heimat. Auf der Suche nach Lebensmitteln zogen diese Menschen nachts plündernd und nicht unbedingt friedfertig durch Stahnsdorf. Meine Mutter hat sich, nach dem wir uns im Bad verschanzt hatten, mit aller Kraft durch Zuhalten der Tür erfolgreich gegen das Eindringen dieser Leute gewehrt. Das sind Erinnerungen eines damals sechsjährigen und ich bin gespannt auf mögliche Berichte von zu dieser Zeit bereits Erwachsener.

Sollte der Dorfteich an seiner alten Stelle und in seiner ursprünglichen Form wiedererstehen, wird man möglicherweise zu mindestens Reste der aus Stahlblech  bestehenden und von den Panzern niedergewalzten  Hoftore finden.

 

April 1995